Hüfners Wochenkommentar: Vom Aufschwung zum Aufräumen


Hüfner

5. August 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Eigentlich müsste die Welt doch in Ordnung gekommen sein. Der Schuldenstreit in den USA ist zu Ende. Die Gläubiger der Staatsanleihen erhalten ihr Geld. Die Staatsausgaben werden zurückgeführt. Damit steigen die Chancen, dass die Staatsverschuldung mittelfristig nicht so hoch bleibt. Warum reagieren die Märkte darauf so negativ?

Zum Teil hat das nichts mit dem Schuldenstreit zu tun. Es ist die Konjunktur, die sich in den letzten Wochen in den USA so verschlechtert hat. Der wichtige Frühindikator für die weitere Entwicklung, der ISM-Index, geht deutlich „nach Süden“ (siehe Grafik). Das Wirtschaftswachstum war im zweiten Quartal mit 1,3 Prozent niedriger als erwartet. Das Wachstum im ersten Quartal wurde sogar auf 0,3 Prozent nach unten revidiert. Damit lag die Zunahme des realen Bruttoinlandsprodukts in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bei unter 1 Prozent. Das ist Stagnation in der wichtigsten Volkswirtschaft der Welt. Das ist natürlich nicht gut für die Märkte.

Anders als ich ursprünglich befürchtet hatte, belastet das neue Schuldenpaket die Konjunktur nicht. Die Sparmaßnahmen sind „Back Loaded“, das heißt sie wirken sich erst in späteren Jahren wirklich aus. 2012 werden sich die Ausgaben gegenüber den bisherigen Planungen nur um 42 Millarden US-Dollar verringern. Das sind gerade einmal 0,3 Prozent der Wirtschaftsleistung. Aber auch das gesamte Sparpaket (das sich auf zehn Jahre bezieht) ist nicht besonders restriktiv. Die Ausgaben werden im Schnitt nur um 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts reduziert. Das muss eine gute Wirtschaft aushalten.

Im Übrigen hat das Sparpaket die Märkte nicht wirklich überzeugt. Das öffentliche Defizit der USA bleibt hoch. Die Relation Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt wird zunächst nicht zurückgehen. Vielleicht steigt sie sogar noch an. Damit bleibt das Damoklesschwert, dass die Rating-Agenturen die Bonität des Schuldners Amerika herunterstufen (dies vielleicht auch um zu zeigen, dass sie sich doch nicht so sehr von Nationalgefühl leiten lassen). Das Vertrauen der Anleger in die Solidität der Finanzpolitik bleibt gestört. China als größter Gläubiger der USA hat noch härtere Sparmaßnahmen angemahnt.

Freilich übertreiben die Märkte in ihrer Kritik. Die Maßnahmen sind so schlecht nicht. Die USA vollziehen einen wichtigen Schwenk in der Wirtschaftspolitik. Zum ersten Mal seit der Finanzkrise rückt das Schuldenproblem bei ihnen in den Fokus. Bisher waren es nur die Europäer, die vom Sparen sprachen. In den Peripherieländern des Euroraums wurden unter dem Druck des Marktes harte Konsolidierungsschritte eingeleitet. In Kerneuropa ist der Sparwille hoch. Die tatsächlichen Ergebnisse sind freilich wegen der sprudelnden Steuereinnahmen noch gering. Jetzt erkennen auch die USA, dass sie die Staatsverschuldung zurückführen müssen.

Das ist ein positives Signal. Es ändert die weltwirtschaftliche Großwetterlage. Nach der Phase des Aufschwungs beginnt jetzt auch in den USA die Phase des Aufräumens nach dem „Hurrikan der Finanzkrise“. Wenn das so durchgeführt wird, steht die Weltwirtschaft auf Dauer wieder auf gesünderen Füßen. Die Unternehmen wachsen wieder aus eigener Kraft. Der Staat zieht sich aus der Konjunktur zurück.

Die Balance zwischen Geld- und Finanzpolitik kann besser werden. Die Notenbanken stehen nicht mehr so stark unter dem Druck, die Stabilisierungsaufgabe allein zu übernehmen. Freilich gibt es hier noch ein paar Schönheitsfehler. In Europa kann die Zunahme der Leitzinsen erst dann geringer ausfallen, wenn die Finanzpolitik in den Kernländern restriktiver wird. In den USA wird die Federal Reserve die Zinsen noch auf längere Zeit niedrig halten. Sie könnte sogar zunächst noch einmal expansive Impulse geben. Ein neues Programm zum Ankauf von Staatsanleihen („Quantitative Easing 3“) zur Bekämpfung der aktuellen Konjunkturschwäche ist nicht ausgeschlossen.

Das zeigt, dass der Übergang vom Aufschwung zum Aufräumen Zeit braucht und dass er sich nicht reibungslos vollzieht. Das Wachstum wird, wie wir das gerade erleben, zunächst holprig. Investoren und Verbraucher müssen erst Vertrauen in die weitere wirtschaftliche Entwicklung fassen. Zudem wird das Wachstum nach dem Ende des Aufschwungs – vor allem in Deutschland – nicht so hoch sein wie vorher.

Die Inflation, die in den letzten Monaten deutlich zugelegt hat, wird nicht so schnell zurückgehen wie erhofft. In Deutschland kann die Geldentwertung auch wegen der hohen und weiter steigenden Kapazitätsauslastung noch zunehmen.

Positiv ist dagegen, dass die Rohstoffpreise schneller reagieren werden. Sie werden nicht mehr so stark steigen, vielleicht sogar fallen.

Für den Anleger

Die gegenwärtige Abwärtsbewegung der Aktienmärkte ist vorübergehend. Lassen Sie sich von dem Pessimismus nicht anstecken. Die wirtschaftspolitischen Weichen sind richtig gestellt. Das wird sich nach der notwendigen Anpassungsperiode positiv auf die Konjunktur und auf die Märkte auswirken. Die Aktien werden wieder steigen. Die Bond-Renditen werden sich wieder normalisieren
(= nach oben gehen). Der US-Dollar verliert etwas von seinem Malus und könnte sich gegenüber dem Euro wieder etwas aufwerten. Der Goldpreis wird sich freilich erst dann zurückbilden, wenn die Unsicherheit geringer ist.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com

© 5. August 2011/Martin Hüfner

Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.