Hüfners Wochenkommentar: Neue Ära bei den Zinsen

Hüfner
Hüfner

6. April 2011. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Wenn die Europäische Zentralbank in dieser Woche die Zinsen anhebt, ist das eine Wende. Es ist nicht nur der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik der letzten Jahre. Die Notenbank signalisiert, dass die Finanz- und Wirtschaftskrise für die Geldpolitik zu Ende ist und dass keine weiteren monetären Anschubmaßnahmen notwendig sind. Der Markt erwartet, dass in diesem Jahr noch zwei Zinserhöhungen vermutlich im gleichen Ausmaß wie jetzt folgen werden. Wir wären am Jahresende beim Hauptrefinanzierungssatz dann also bei 1,75 Prozent. Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte. Die Betrachtung früherer Zinszyklen lehrt, dass danach noch eine Reihe von Zinserhöhungen folgen werden. Auf was muss sich ein langfristig orientierter Anleger einstellen?

Alles hängt natürlich von der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung ab. Wenn die Wirtschaft weiterhin so stark wie in den letzten Monaten expandiert und die Preise auf 3 Prozent und vielleicht sogar noch mehr ansteigen, dann muss die Notenbank auch entsprechend scharf gegensteuern. Wenn sich das Wachstum aber wieder verlangsamt und sich die Inflation bald wieder auf 2 Prozent oder darunter zurückbildet, dann kann die EZB vorsichtiger vorgehen.

Da niemand weiß, wie die wirtschaftliche und monetäre Entwicklung verlaufen wird, habe ich mir die früheren Zinszyklen angeschaut. Die Grafik zeigt die Veränderungen des Leitzinses in Deutschland seit dem zweiten Weltkrieg, zunächst unter der Bundesbank, dann unter der EZB. Auf den ersten Blick sieht man, dass es in den Bundesbankzeiten vor allem bis zu den 70er Jahren viel hektischer zuging. Insgesamt gab es bei der D-Mark acht Zinserhöhungszyklen. Die Leitzinsen gingen viermal auf 7 Prozent und darüber. Umgekehrt sanken sie nur einmal leicht unter 3 Prozent.

Leitzinsen in Deutschland

Das lag zum Teil an den unruhigen Zeiten im Zusammenhang mit den Währungs- und Ölkrisen. Hinzu kam, dass das Wachstum in der Bundesrepublik damals noch robuster war und höhere Zinsen vertrug. Zum Teil beruht es aber auch auf einer anderen Verhaltensweise. Die Bundesbank war kurzfristiger orientiert. Sie entschied schneller. Die EZB praktiziert demgegenüber eher eine Politik der ruhigeren Hand. Das hängt zum einen damit zusammen, dass im Governing Council der EZB unterschiedlichere Charaktere sitzen, zum anderen aber auch dass die Situation in den einzelnen Eurostaaten verschiedener ist, als dies in den Ländern der Bundesrepublik war. Aus meiner Sicht ist die ruhigere Gangart der EZB kein Fehler. Sie hat damit die Preisentwicklung genauso gut im Griff halten können wie die Bundesbank.

Nehmen wir als erstes an, die weitere Entwicklung verläuft so wie in den bisherigen Jahren mit der EZB. Seit Bestehen des Euro gab es zwei Zinserhöhungszyklen, einmal ab 1999 und einmal ab 2005. Beides Mal ging es insgesamt um 2,25 Prozentpunkte nach oben. Im Schnitt dauerte die Anhebung 21 Monate. Würde man dieses Muster auch jetzt wieder unterstellen, dann würde sich die jetzt anstehende Zinsanhebung bis Ende 2012 hinziehen und bei einem Satz von 3,25 Prozent enden.

Das wäre keine wirklich dramatische Entwicklung. Die Sätze lägen deutlich unter den in vorherigen Restriktionsperioden erreichten Sätzen. Entscheidend dafür ist, dass die Restriktion bei einem viel niedrigeren Satz (nämlich dem Krisenniveau von 1 Prozent) beginnt. Wollte die EZB wieder auf die früheren Höchststände kommen, dann müsste sie den Hauptrefinanzierungssatz auf über 4 Prozent erhöhen. Das würde dann im Jahre 2013 erreicht. Das erscheint mir plausibler. Freilich setzt es voraus, dass die Schuldnerländer an der europäischen Peripherie dann aus dem Gröbsten heraus sind.

Wenn man die Verhaltensweise der Bundesbank unterstellt (für die ein sehr viel längerer Vergleichszeitraum vorliegt), dann käme man auf ein ganz anderes Ergebnis. Dann würden die Zinsen schon bis Oktober nächsten Jahres auf 4,75 Prozent angehoben. Es gäbe dann in den nächsten eineinhalb Jahren beinahe jeden Monat eine Zinserhöhung von 0,25 Prozentpunkten. Das ist in der Tat schwer vorstellbar. Dazu ist die wirtschaftliche Entwicklung nicht robust genug.

Was bedeutet eine Zinserhöhung EZB-Style für die Anleger? Die Konjunktur wird weiter laufen, freilich nicht mehr ganz so schnell wie bisher angenommen. Das ist aber kein Beinbruch. Die Inflation wird ebenfalls weiter gehen, aber auch nicht mehr so stark. Die Preiserwartungen werden in einem vertretbaren Rahmen bleiben. Die Investoren glauben an einen Erfolg der Stabilitätspolitik.

Die Eurokrise wird sich länger hinziehen, weil das Wachstum schwächer ist und weil die Zinsen ansteigen. Griechenland, Irland und Portugal werden länger brauchen, bis sie aus den Schwierigkeiten herauskommen. Ob der Markt ihnen die Zeit dafür gibt, ist unsicher. Es könnte daher sein, dass die EZB aus diesem Grund die Normalisierung der Zinsen abbrechen muss.

Die Bond-Renditen werden steigen. Wenn die Leitzinsen der EZB auf über 4 Prozent gehen, dann ist damit zu rechnen, dass die Bond-Renditen bei über 5 Prozent landen. Die Aktienkurse dürften etwas langsamer, als von vielen erwartet, zunehmen. Für den DAX würde die 8.000er Marke nicht schon 2011 erreicht werden, sondern vielleicht erst 2013. Der Euro wird zunächst noch weiter aufwerten (vielleicht bis US Dollar 1,60), sich aber wieder zurückbilden, wenn auch die US-Notenbank mit dem Exit beginnt und die Zinsen erhöht.

Anmerkungen oder Anregungen? Martin Hüfner freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com

© 6. April 2011/Martin Hüfner

Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon Asset Management S.A. Er war viele Jahre Chefvolkswirt beziehungsweise Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. In Brüssel leitete er den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung. Hüfner schreibt für große internationale Zeitungen wie die Neue Züricher Zeitung oder die Schweizer Finanz und Wirtschaft sowie für große Zeitungen in Deutschland. Er ist Autor mehrerer Bücher, u. a. „Europa – Die Macht von Morgen“ und „Comeback für Deutschland“.