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Hünseler
5. Juni 2014. FRANKFURT (Börse Frankfurt). Der bereits 2013 vom neuen King of Pop Pharrell Williams veröffentliche Song „Happy“ ist ein eingängiger Ohrwurm. Der Hit verbreitet eine so ansteckend gute Laune, dass daraus das weltweit erste 24-stündige Musikvideo entstanden ist. Grund zur Freude haben derzeit wohl auch die meisten Kapitalmarktteilnehmer. Trotz eines klassischen Fehlstarts an den Finanzmärkten in der zweiten Januarhälfte und der gegenwärtigen Spannungen zwischen Ost und West liegen die Investoren seit Jahresbeginn über alle Asset-Klassen vorne und können sich sogar über teils erhebliche Zugewinne freuen. Während es wenig verwundert, dass sich das Öl um vier Prozent verteuerte, beeindruckten italienische und spanische Staatsanleihen eher unerwartet erneut mit Wertsteigerungen von 10 Prozent bis 12 Prozent. Aber auch deutsche Bundesanleihen konnten die im vergangenen Jahr nicht eben verwöhnten Anleger mit einem Plus von mehr als 6 Prozent überraschen. Und nicht zuletzt legten auch die Aktien zu, der europäische Leitindex hat dabei mit einem Kursplus von mehr als vier Prozent die Nase noch vor seinem US-Pendant S&P 500.
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Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen
Dennoch warnen einige Stimmen vor der wachsenden Gefahr eines dramatischen Rückschlags an den Finanzmärkten. Die fortdauernden geopolitischen Konflikte in der Ukraine, Syrien und auch Asien sowie Chinas unberechenbares Wirtschaftswachstum und das Ende der ultralockeren Geldpolitik Amerikas sorgen bei Investoren zu Recht für Unbehagen.
Das Dilemma der Investoren
Hier beginnt das Dilemma des Investors. Die Aufgabe eines umsichtig agierenden Anlegers liegt nämlich nicht nur darin, vorausschauend Verluste durch Kursrücksetzer zu vermeiden. Vielmehr gilt es auch, die sich bietenden Möglichkeiten, Erträge zu generieren, nicht ungenutzt zu lassen. Der am meisten gefürchtete Fehler
liegt für viele aber darin, Börsen-Crashs nicht rechtzeitig erkannt zu haben. Crash-Prognosen bescheren ihren Propheten daher ein erhebliches Maß an medialer Aufmerksamkeit. Der frühere Finanzmathematiker und Autor des Bestsellers „Der schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“, Nassim Taleb, erlangte mit seinem Werk über Risiken im Finanzsektor weltweite Berühmtheit, als es kurz nach Erscheinen des Buches zur Finanzkrise kam. Wäre es nicht zum Crash gekommen, wäre Taleb wohl auch kein Vorwurf daraus erwachsen – ein angekündigter, aber nicht eingetretener Absturz hat noch selten für Schlagzeilen gesorgt. Im Gegensatz zu erlittenen Kursverlusten wird der zweite mögliche Fehler, nämlich aus Sorge vor Verlusten nicht zu investieren und dadurch Kursgewinne versäumt zu haben, nur von Anlegern mit klar definierten Ertragszielen als Risiko wahrgenommen. Dabei kann dieser Fehler mittelfristig vergleichbar gravierende Konsequenzen haben.
Reale Verluste durch negative Realzinsen
Denn nicht investiertes Finanzkapital trägt nicht nur nicht zum Wirtschaftswachstum bei, es verliert aufgrund der aktuellen Inflation von 0,9 Prozent in Deutschland bzw. 0,7 Prozent in der Eurozone fortwährend an Wert. Bei den aktuellen kaum noch wahrnehmbaren Renditen deutscher Bundesanleihen müssen Investments in heimische Staatspapiere schon eine Restlaufzeit von mehr als sieben Jahren aufweisen, nur um den preissteigerungsbedingten Kaufkraftverlust auszugleichen. Dass die EZB sich nach Kräften bemüht, dem Angstgespenst einer Deflation zu begegnen und die Inflation in Richtung 2 Prozent anzuschieben, verschärft die Lage noch zusätzlich. Ein rational agierender Anleger wird daher für seine Positionierung weniger auf die einschlägigen Crash-Propheten setzen, sondern verschiedenen Szenarien Kursveränderungen zuordnen und diese dann mit Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichten. Ein Kurseinbruch bei den Aktien von 20 Prozent mit einer Wahrscheinlichkeit von 5 Prozent wäre dann weniger zu fürchten als ein entgangener Ertrag von moderaten 2 Prozent bei einer recht hohen Eintrittswahrscheinlichkeit von 95 Prozent. Nicht umsonst messen Finanzmarktteilnehmer daher der Zinsentscheidung der Europäischen Zentralbank am 5. Juni eine hohe Bedeutung zu.
Unkonventionelle EZB
Die wiederholten Bemühungen des EZB-Vorsitzenden Mario Draghi, Investoren auf bahnbrechende, inflationstreibende und damit wirtschaftsbelebende Maßnahmen einzuschwören, haben bereits deutliche Wirkung gezeigt. Die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen liegen aktuell deutlich unter denen des Vorjahres. Seinerzeit wurde von der amerikanischen Notenbank erstmalig der Begriff des „Taperings“ gebraucht, was in der Folge erhebliche Turbulenzen an den Börsen auslöste. Trotz der vorherrschenden Niedrigstzinsen erwarten die Analysten überwiegend ein „Quantitative Easing“ im Stile der amerikanischen Federal Reserve und der Bank of Japan. Danach könnten Staatsanleihen und Schulden des Privatsektors von der Zentralbank aufgekauft werden. Die Einführung negativer Einlagenzinsen gilt bei Ökonomen ebenso wie eine Fortsetzung des LTRO als sicher. Alles andere als sicher dagegen ist, ob die EZB mit diesen Maßnahmen tatsächlich das Ziel der Preissteigerung erreichen wird. Denn auch ohne weitere Hilfsmaßnahmen gehen Analysten von einer Erholung der Wirtschaft in den kommenden Jahren aus.
![HünselersKolumne2](http://www.boerse-frankfurt.de/files/ressourcen/bilder/kolumnen+grafiken/hünselerskolumne2.png)
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen
Dabei fällt auf, dass die europäischen Peripherieländer sich zwar aus der Rezession befreien können sollten, ihr Wirtschaftswachstum aber hinter dem der Kernländer zurückbleiben wird. Als eine der Hauptursachen dafür gilt die unverändert verhaltene Kreditversorgung etwa
in Spanien, Italien oder auch Portugal.
![HünselersKolumne3](http://www.boerse-frankfurt.de/files/ressourcen/bilder/kolumnen+grafiken/hünselerskolumne3.png)
Quelle: EZB, eigene Berechnungen
Schwerer noch wiegen jedoch die Unterschiede in den Finanzierungskonditionen für kleinere Kreditnehmer. Während sich die Sätze für größere Unternehmen des Euroraums weitgehend angeglichen haben und in vielen Fällen Mittel zu vergleichbaren Bedingungen über den Kapitalmarkt beschafft werden können, leiden kleine Firmen und Private der europäischen Peripherie noch immer unter erheblich höheren Kreditkosten, sofern sie überhaupt Zugang zu Krediten haben.
Der daraus resultierende Wettbewerbsnachteil für die Unternehmen der Südländer ist nicht zu unterschätzen. Auch führen diese Probleme zu noch immer bedenklich hohen Beständen notleidender Kredite bei den in diesen Ländern beheimateten Banken.
![HünselersKolumne4](http://www.boerse-frankfurt.de/files/ressourcen/bilder/kolumnen+grafiken/hünselerskolumne4.png)
Quelle: UniCredit Research
Wiederkehr der Asset Backed Securities (ABS)
Immer häufiger ist im Zusammenhang mit der erwarteten geldpolitischen Lockerung seitens der EZB auch von einem Revival der ungeliebten Asset Backed Securities (ABS) die Rede. Seit der Finanzkrise genießen ABS, die Bankkredite verbriefen und diese so für Anleger investierbar werden lassen, einen eher zweifelhaften Ruf. Da in vielen Fällen auch Kredite fragwürdiger Qualität an Investoren weitergereicht wurden, entstanden durch ABS hohe Verluste, die ganze Banken in die Knie gezwungen haben. Seitdem wurden die Auflagen für Investoren und auch für die Kapitalentlastung der emittierenden Banken erheblich verschärft, so dass diese Vehikel als Mittel zum Risikotransfer für Finanzinstitute heute keine nennenswerte Rolle mehr spielen. Können die Banken ihre Bilanzaktiva aber nicht an den Kapitalmarkt weiterreichen, bildet die gegebene Kapitalausstattung die natürliche Obergrenze für die Kreditvergabetätigkeit. Zwar erlitten auch solche ABS, die das Brot- und Buttergeschäft der Banken wie beispielsweise Geschäftskredite umfassten, in der Krise ebenfalls erhebliche Wertverluste. Bei Fälligkeit der Wertpapiere konnten die Investoren dann jedoch überwiegend voll bedient werden. Trotz der regulatorisch bedingt geringen Nachfrage sind Banken weiterhin aktiv in der Bündelung von Krediten in ABS. Die Papiere werden jedoch nicht mehr an Kapitalmarktteilnehmer verkauft, sondern dienen weitgehend als Sicherheit für Zentralbankkredite bei der EZB.
![HünselersKolumne5](http://www.boerse-frankfurt.de/files/ressourcen/bilder/kolumnen+grafiken/hünselerskolumne5.png)
Quelle: UniCredit Research
Die EZB weiß um dieses Problem und sucht nach Wegen, ABS wiederzubeleben. Denn das Risiko ist hoch, dass negative Einlagenzinsen der EZB die Kreditinstitute nur zu Ausweichanlagen beispielsweise in Staatsanleihen verleiten, ohne dass die Liquidität schließlich in der Wirtschaft ankommt. Dabei herrscht bei der Nachfrage nach den Staatsanleihen Italiens, Spaniens oder auch Griechenlands auch ohne Nachhilfe durch die EZB derzeit kein Mangel.
Das ungebrochene Investoreninteresse, das nur durch die unlängst stattgefundene Europawahl einen temporären Rücksetzer erfuhr, ließ die Rendite fünfjähriger spanische Bonos mit einem Rating von Baa2 bzw. BBB erstmals seit 2007 auf das Niveau der als risikoarm geltenden US-Treasuries, die mit AAA bzw. AA+ eingestuft werden, sinken.
![HünselersKolumne6](http://www.boerse-frankfurt.de/files/ressourcen/bilder/kolumnen+grafiken/hünselerskolumne6.png)
Quelle: Bloomberg, eigene Berechnungen
Moderate Risikoprämien für Länder
Etwas anders sieht das Bild dagegen für die Risikoprämien für Spanien, Italien und den USA aus. Da zeigt sich, dass die europäischen Peripherieländer weiterhin riskanter als die Kernländer oder die USA eingestuft werden.
![HünselersKolumne7](http://www.boerse-frankfurt.de/files/ressourcen/bilder/kolumnen+grafiken/hünselerskolumne7.png)
Quelle: Credit Suisse
Dennoch waren auch die CDS-Spreads in den vergangenen Monaten deutlich rückläufig. Es steigt also die Zuversicht, dass von den schwächeren Mitgliedern der Eurozone keine unmittelbare Gefahr mehr ausgeht. Eindrücklich untermauert wird diese Überzeugung auch durch den Erfolg Griechenlands bei der Platzierung einer Anleihe mit einem Kupon von nur 4,75 Prozent bei fünfjähriger Laufzeit. Obwohl das Land nur ein Rating von Caa3 bzw. B- vorweisen kann, stand einem Emissionsvolumen von 3 Milliarden Euro einer Nachfrage von mehr als 20 Milliarden Euro gegenüber. Dies ist umso bemerkenswerter, als dass die Anleger noch 2012 erhebliche Verluste bei der Restrukturierung griechischer Staatsanleihen erlitten.
Rekapitalisierung der Banken kommt voran
Neben der Fähigkeit der Länder, sich direkt Mittel am Kapitalmarkt beschaffen zu können, gelten auch die Rekapitalisierungsmaßnahmen der heimischen Banken als Bedingung für eine nachhaltige Stabilisierung der Länder. Denn trotz der neuen „Bail in“-Regeln, bei denen der Steuerzahler geschont und die Investoren bei einer Bankpleite zur Kasse gebeten werden sollen, würde angesichts der im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt noch immer teilweise überdimensioniert wirkenden Bankbilanzsummen eine erhebliche Belastung auf die Heimatländer einer in Not geratenen Bank zukommen. Mit gutem Beispiel voran geschritten sind die griechischen Banken, die sich seit vergangenem Jahr fast 9 Milliarden Euro frisches Eigenkapital beschafften und diese Mittel zum Teil zur Rückführung der Staatshilfen verwendeten. Doch damit stehen die griechischen Finanzinstitute nicht allein da. Italienische Banken nahmen etwa 10 Milliarden Euro und spanische Institute 6 Milliarden Euro neues Kapital auf. Doch damit nicht genug. Werden auch noch die Erlöse aus dem Verkauf von Aktiva hinzugerechnet, kommt Morgan Stanley auf einen Betrag von mehr 35 Milliarden Euro, die den europäischen Banken als zusätzliches Kapital zur Verfügung stehen. Dazu kommen noch die zahlreichen Nachranganleihen, die ebenfalls verlustabsorbierend wirken. Allein seit Jahresbeginn wurden Contingent Convertibles, sogenannte CoCos, im Umfang von mehr als 25 Milliarden Euro begeben[1].
Hier waren mehr als zehn Banken, darunter die Deutsche Bank, die spanische BBVA und Santander, die italienische UniCredit, die dänische Danske Bank, die belgische KBC, die Schweizer UBS sowie die französischen Großbanken Credit Agricole und Sociéte Generale aktiv. Weitere CoCos werden auch von der Aareal Bank oder der Commerzbank erwartet. Angesichts der hohen Investorennachfrage nach diesen Anleihen sowie des anstehenden Stresstests im Vorfeld der Übernahme der Bankenaufsicht durch die EZB ist von einer weiter regen Emissionstätigkeit durch europäische Banken auszugehen. Im Ergebnis stehen die Banken und die Länder also erheblich besser da, als in den vergangenen Jahren. Dies äußert sich nicht zuletzt ganz richtig auch in den gesunkenen Risikoprämien, die Investoren heute für Anleihen und Kreditderivate erhalten.
[1] Dabei entfielen knapp 6,5 Milliarden Euro auf die britische Bank Lloyds,
die bestehende CoCos durch neue ersetzte.
Euphorie oder Enttäuschung
Ohne Zweifel hat die EZB mit ihrer entschiedenen Vorgehensweise bei der Bewältigung der Finanzkrise viel erreicht. Die angewandten Instrumente und nicht zuletzt die mitunter kompromisslose Rhetorik der Währungshüter zeigten trotz angebrachter Skepsis ihre Wirkung. Die aktuellen Anstrengungen der EZB, mit einer unkonventionellen Geldpolitik die Wirtschaft weiter zu stärken, wirken dagegen etwas hilflos. Es ist mehr als ungewiss, ob die EZB am Ende über die richtigen Werkzeuge verfügt, um an der Preisspirale spürbar drehen zu können. Kann Draghi bei der nächsten EZB-Sitzung aber nicht überzeugen, droht bei den Zinsen Ungemach. Denn das aktuelle Niveau zehnjähriger Bundesanleihen lässt sich nur noch mit der Euphorie erwartungsfroher Anleger erklären. Das Enttäuschungspotenzial überwiegt zumindest mittelfristig die noch verbleibenden Chancen bei festverzinslichen Anleihen. Eine Absicherung gegen Kursverluste aufgrund steigender Zinsen kann derzeit auch aufgrund der niedrigen Opportunitätskosten nicht schaden.
Anmerkungen oder Anregungen? Michael Hünseler freut sich auf den Dialog mit Ihnen: redaktion@deutsche-boerse.com.
Der Geschäftsführer der Assenagon-Gruppe ist Leiter Credit Portfolio Management und verantwortlicher Fonds-Manager.
von Michael Hünseler, Assenagon.
© 5. Juni 2014