Hüfners Wochenkommentar: "Vier Denkfehler in der Griechenlandkrise"

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6. Februar 2015. FRANKFURT (Börse Frankfurt).So viel Unsicherheit war selten. Niemand traut sich heu­te, eine Prognose abzugeben, wie die Gespräche mit den neuen Männern in Griechenland ausgehen werden. Die Athener Börse ist mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt. Das liegt nicht nur an dem Katz-und-Maus-Spiel, das die Beteiligten miteinander betreiben. Es liegt auch nicht an den Nebelkerzen, die immer wie­der geworfen werden. All das ist in solchen Verhandlun­gen üblich. Es liegt auch daran, dass es in Sachen Grie­chenland so viele Vorurteile und Denkfehler gibt wie sel­ten. Hier ein paar Beispiele.

Erstens: Es wird immer wieder gesagt, Griechenland sei ein Fass ohne Boden. Da sollte man nicht gutes Geld schlechtem hinterherwerfen. Das ist nicht richtig. Ökono­misch steht Griechenland nach den schmerzhaften An­passungsprozessen der letzten Jahre heute besser da denn je. Die Wirtschaft wächst wieder (siehe Grafik). Die Leistungsbilanz weist einen Überschuss auf. Das Haus­haltsdefizit ist kleiner als 3 %. Italien und Frankreich wä­ren glücklich, wenn sie eine solche Bilanz aufzuweisen hätten.

Woran es in Griechenland fehlt, ist eine Verankerung der Reformpolitik in der Gesellschaft. Nur dann steht sie auf dauerhafter Basis. Austerität allein reicht nicht. Aber dieses Manko gibt es in vielen Staaten. Ein Schwach­punkt sind auch die Banken. Sie leiden unter faulen Kre­diten (40 % aller Kredite sind notleidend). Zudem ziehen Einleger ihr Geld aus Angst vor der unsicheren Zukunft ab.

Erfolg der griechischen Reformen Zunahme des realen BIP
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Quelle: IWF

Zweitens: Es wird immer wieder gesagt, Griechenland fehle es vor allem an Geld. Die neue Regierung braucht Mittel, um die Versprechungen sozialer Wohltaten im Wahlkampf zu finanzieren. Zudem muss sie den Schul­dendienst leisten.

Auch das geht am Kern des Problems vorbei. Natürlich kann Athen unter den gegebenen Bedingungen keine Hilfe von den Finanzmärkten erwarten. Aber der erste Gedanke einer Regierung bei der Suche nach Geld soll­te sich nicht an die Finanzmärkte richten. Der logische Weg zu Mehreinnahmen wäre eine Besteuerung der Oligarchen, die bisher weitgehend geschont wurden. Das wäre eine Chance, alte Eliten zu entmachten und neue, auch reformbereitere Gesellschaftsstrukturen zu etablieren. Es würde auch die Bereitschaft der Gläubiger erhöhen, Griechenland Kredit zu geben.

Drittens: Es heißt, die Partner Griechenlands in der Währungsunion seien nicht bereit, Athen mit neuen Geldern unter die Arme zu greifen. Verwiesen wird darauf, dass nicht nur Deutschland, sondern beispiels­weise auch Spanien einen Schuldenschnitt ablehnt.

Auch das ist nur die halbe Wahrheit. Wenn man genau hinhört, dann ist die Bereitschaft der Gläubiger, den Griechen zu helfen, selbst nach den harschen Worten zu Beginn der neuen Regierung erstaunlich groß. Keiner ist interessiert, es zum Knall kommen zu lassen. Jeder redet mit den neuen Leuten. Das liegt weniger an öko­nomischen Überlegungen – Griechenland macht mit seinen 10 Mio. Einwohnern gerade mal 2 % der Ge­meinschaft aus.

Entscheidend ist: Europa braucht die Griechen, um handlungsfähig zu sein, auch in der Ukra­inefrage. Die Amerikaner machen Druck auf Brüssel, sich mit Athen zu arrangieren. Sie müssten sonst ihre Flottenpräsenz im Mittelmeer erhöhen.

Voraussetzung ist allerdings, dass Athen seine wirt­schaftspolitischen Intentionen offen legt. Nur dann kön­nen die Gläubiger einschätzen, ob sie ihr Geld zurück­bekommen können. Nur dann kann man sehen, ob es eine Basis für eine Zusammenarbeit in der Währungs­union gibt. Eine Währungsunion funktioniert nur, wenn sich alle an gemeinsame Regeln halten. Im Übrigen sind viele Länder im Euro interessiert, ob es ein Alternativ­konzept zu dem bisherigen „Brüsseler Konsens“ der Austeritätsspolitik gibt. Die Frage des wirtschaftspoliti­schen Konzepts ist wichtiger als alle Diskussionen über smarte Lösungen beim Schuldenschnitt.

Bisher lässt sich Athen hier nicht in die Karten schauen. Aus Wahlkampfäußerungen ist nur zu entnehmen, dass es mehr Staatseinfluss auf die Wirtschaft geben wird und mehr Umverteilung zugunsten der unteren Schich­ten. Das allein reicht aber nicht. Statt eines Investment­bankers sollte man lieber einen Wirtschaftspolitiker als Berater engagieren.

Viertens: Die neuen Männer in Athen machen den Ein­druck, als hätten sie beliebig Zeit, um die Finanzierungs­probleme zu lösen. Sie lehnten gleich zu Beginn rund­weg eine kurzfristige Hilfe der Partner in Höhe von EUR 1,7 Mrd. ab. Das sei nicht nötig.

Auch das ist nicht korrekt. Richtig ist, dass das Zeitfens­ter, das Athen hat, sehr eng ist. Im Augenblick kann sich das Land noch mit Hilfskrediten der Zentralbank (ELA = Emergency Liquidity Assistance) über Wasser halten. Es gibt auch noch Reserven im Haushalt. Im Zweifel könnte sie nach dem Muster Zyperns Kapitalverkehrskontrollen einführen, um den Kapitalabfluss ins Ausland zu stop­pen. Aber je näher der Zeitpunkt kommt, an dem Zah­lungen an die Gläubiger geleistet werden müssen, umso schwieriger wird es. Es kann dann schnell zu Verzöge­rungen bei den Zahlungen kommen, was einen Staats­bankrott auslösen könnte. Wenn es wirklich zu einem „Grexit“ kommen sollte, dann am ehesten „Per Acci­dent“.

Für den Anleger

Bereiten Sie sich auf weitere Turbulenzen in der Wäh­rungsunion vor und sichern Sie Positionen ab. Das Man­tra, dass ein „Grexit“ für die Gemeinschaft gar nicht so schlimm ist, gilt nicht mehr. Zwar würde er am Ende nicht zu einem Zusammenbruch des Euros führen. Er würde aber Schockwellen auslösen, die bestimmt nicht geringer wären als das was wir nach der Freigabe des Schweizer Franken im Januar erlebten.

Anmerkungen oder Anregungen? Ich freue mich auf den Dialog mit Ihnen: martin.huefner@assenagon.com.
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von Martin Hüfner, Assenagon

© 6. Februar 2015

Dr. Martin W. Hüfner ist Chief Economist bei Assenagon. Viele Jahre war er Chefvolkswirt der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG und Senior Economist der Deutschen Bank AG. Er leitete fünf Jahre den renommierten Wirtschafts- und Währungsausschuss der Chefvolkswirte der Europäischen Bankenvereinigung in Brüssel. Zudem war er über zehn Jahre stellvertretender Vorsitzender beziehungsweise Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungsausschusses des Bundesverbandes Deutscher Banken und Mitglied des Schattenrates der Europäischen Zentralbank, den das Handelsblatt und das Wallstreet Journal Europe organisieren. Dr. Martin W. Hüfner ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem „Europa – Die Macht von Morgen“ (2006), „Comeback für Deutschland“ (2007), „Achtung: Geld in Gefahr“ (2008) und „Rettet den Euro!“ (2011).